Tschechische Nachrichten
Neulich kam überraschend ein Freund von mir vorbei – ausgerechnet bei den Nachrichten im tschechischen Radiožurnál. Er betrat meine Wohnung und lauschte irritiert.
„Was hörst du da?“
„Tschechische Nachrichten.“
„Kannst du die verstehen?“
„Naja – ein bisschen. Lass mich mal noch zu Ende hören!“
Es musste ziemlich viel passiert sein auf der Welt, oder auch nur in Tschechien, denn die Moderatorin sprach außerordentlich schnell. Ich hörte:
„… vysoké školy … kontrolní úřad … dvácet projektů … investice … efektivně … pět milion korun …“
„Interessant“, sagte mein Freund. „Da kann ja sogar ich was verstehen. Irgendwas mit Kontrolle und effektiven Investitionen, oder?“
„Und die Hochschulen kamen vor“, sagte ich. „Zwanzig Projekte, fünf Millionen Kronen. Außerdem ein Kontrollamt. Aber was, zum Teufel, kontrollieren die an ihren Hochschulen für so viel Geld?“
Die Nachrichtensprecherin war unterdessen schon beim nächsten Thema: „… archeologický … rekonstrukce … kosti … jedenáctého stoletínárodní …“
„Ah“, sagte ich, „archäologische Ausgrabungen!“ „‚Archäologisch‘ habe ich auch verstanden. Aber was haben die da ausgegraben?“
„Knochen aus dem elften Jahrhundert.“
„Und wo?“
„Wo? Hm. Das hat sie, glaub ich, gar nicht gesagt. Kann aber nur in Kutná Hora gewesen sein. Da gibt‘s doch eine ganze Gruft voller Knochen … na, jetzt haben sie noch ein paar mehr.“
„… národní divadlo … výstava fotografie … architekturu … pivovarů … kulturní klub …“
„‚Fotografie‘ und ‚Architektur‘ hab ich verstanden“, sagte mein Freund. „Und ‚Kulturklub‘. Tschechisch ist vielleicht gar nicht so schwer … aber was war da noch?“
„Ich weiß auch nicht so genau … auf jeden Fall kamen noch Brauereien vor. Und Theater. Und irgendwas mit Ausstellung.“ „Also eine Fotoausstellung im Kulturklub mit Bier und Theater?“
„Nein, ich glaube eher, Kulturklubs stellen ihre Fotos in verschiedenen Theatern aus.“
„Aber auf jeden Fall gibt‘s dazu Bier, oder? Klingt doch gut!“ „Vielleicht haben sie auch nur Brauereien fotografiert.“
„… alternativní kultury … občerstvením …“ sprudelte es aus dem Radio, und ich übersetzte:
„Alternative Kultur mit Erfrischungen!“
Mein Freund war skeptisch. „Was soll das heißen, ‚mit Erfrischungen‘? Also doch mit Bier? Und ‚alternative Kultur‘ hab ich selber verstanden, ohne daß ich Tschechisch kann. Seit wann lernst du Tschechisch?“
„Seit zwei Jahren ungefähr.“
„So lang schon? Und da verstehst du nur so wenig?“
„Na und? Ist dir nicht aufgefallen, daß die Nachrichtensprecherin während der ganzen Sendung kein einziges Mal eingeatmet hat? Wie soll man bei der Geschwindigkeit was verstehen?“
„Trotzdem“, sagte mein Freund. „Mich würde das ganz schön deprimieren – nach zwei Jahren Tschechisch …“
„Einerseits – ja“, sagte ich. „Aber andererseits – kann man für das innere Gleichgewicht etwas besseres tun, als Nachrichten zu hören, von denen man höchstens ein Viertel versteht?“
Elmar Tannert

