Das gemeinsame „ou“
Knappe zwei Generationen lang, von 1353 bis 1400, reichte das böhmische Territorium unter Karl IV. und Wenzel IV. bis kurz vor die Tore von Nürnberg – ein kurzes Intermezzo, aber linguistisch bis heute von Bedeutung. In dieser Zeit nämlich habe sich, so der Historiker Jiři Posmíval, der Diphthong “ou” zu einem gemeinsamen Laut im Tschechischen und im Oberpfälzischen entwickelt; unklar sei allerdings, ob das “ou” von West nach Ost oder von Ost nach West wanderte. Böse Zungen behaupten, die temporäre Erweiterung Böhmens quer durch die nördliche Oberpfalz sei ein sprachlicher Eroberungsfeldzug gewesen – man habe für das umfangreiche tschechische Deklinationssystem dringend noch eine Flexionsendung gebraucht, unter anderem für die weibliche Form des Akkusativ Singular der harten Adjektive, und sich dafür einfach das oberpfälzische “ou” geschnappt.
Wie dem auch sei – entscheidend ist der Effekt. Das “ou” ist im Lauf der Geschichte von der Oberpfalz weiter westwärts bis nach Nürnberg gewandert und begegnet mir jetzt im Tschechischen wie ein guter alter Freund. Wann immer ich über den sieben Fällen oder dem ausgefeilten Vorsilbensystem der tschechischen Verben verzweifle, finde ich Trost an “ou”-haltigen, elementaren Wörtern wie houska (Semmel), houba (Pilz) oder mouka (Mehl). Voll Freude habe ich abseits der Lehrbuchpfade auch schon entdeckt, dass die Tschechen ganz offensichtlich ihr “ou” von Herzen lieben – wie sonst könnten sie einen ihrer Kinderverse mit den Worten beginnen lassen: “Houpy, houpy, houpy, kočka snědla kroupy”? Das ist Balsam für des Oberpfälzers Seele, denn ihm trägt sein “ou” im restlichen Bayern nur Spott ein – der Kabarettist Bruno Jonas nahm es schon zum Anlass, die Oberpfalz als “das bayerische Sprachlabor” zu bezeichnen, und von der außerhalb der Oberpfalz sehr beliebten Scherzfrage, wie man einen Oberpfälzer zum Bellen bringt, wollen wir erst gar nicht reden.
Das “ou” stellt mithin ein wesentliches Bindeglied zwischen dem Oberpfälzischen und dem Tschechischen dar, streut aber auch Sand ins Getriebe. Als ich im Sommer am Eulenberg bei Friedrichshäng das Pascherspiel sah und die vielen ou-haltigen Sätze hörte, dachte ich “Ouvej, ouwäih!” und fragte mich, ob es den Tschechen im Publikum gelingt, aus einem Satz wie “Af däi Wanka koust di valoua!” das hochdeutsche “Auf Wanka kannst du dich verlassen!” herauszudestillieren. Daran zweifle ich bis heute und bin mir deshalb sicher, dass das “ou” großen Symbolwert hat für das vielschichtige Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen. Es gibt verbindende Elemente zwischen ihnen – und doch kann in genau dem, was sie verbindet, Befremdliches verborgen sein. Mal für die einen, mal für die andern.

